„Do you recognize any of this persons?“, steht auf dem Banner im Flur des Hamsa-Restaurants in Krakau. Frau Dopke möchte, dass wir israelisch essen. „Ja, in Deutschland gibt es zu wenig solcher Restaurants!“, sagt sie. Also tun wir das. Wir essen hier israelisch: Mezze, Pita, Shakshuka. Im Hamsa gibt es viel davon. An der Wand steht „Hummus and Happiness“, auf einer anderen Wand: „Make Hummus not War!“ Glücklich sein, Frieden – und mitten drin dieses Banner? Das sind Nachkommen, denke ich. Nachkommen, die ihre Verwandten während der Besatzung Polens durch die Deutschen verloren haben. Im Herzen dieses Restaurants, das auch für die gemeinsame Esskultur der Jüdinnen und Juden steht, für Gemeinschaft, Freude und Hummus, ist die Frage nach den vermissten Verwandten immer noch aktuell. Die Toten der Shoah sind immernoch in den Alltag integriert.
Diese Erfahrungen sind Ziel der Studienfahrt nach Krakau und Oswieciem gewesen. Ein Jahr lang haben wir uns inhaltlich auf diese Fahrt vorbereitet. Freiwillig, außerhalb der normalen Stundentafel und ohne irgendetwas materielles wie Notenpunkte dafür zu bekommen. Unsere Reisegruppe setzt sich aus 16 Schülerinnen und Schülern der Sek II, einem FSJler, Frau Dopke, Herrn Fleischmann und Liam Harrold, einem Geschichtsstudenten und unsere heimliche Reiseleitung, zusammen.
Wir übernachten in Krakau. Die Stadt begeistert. Übervoll mit Touristen, zu denen wir auch gehören, saugen wir das Flair der Stadt in uns auf. Die Tuchhallen beindrucken, die Burg ist wunderschön illuminiert und die Gassen Kazimierz‘ gesäumt von alten, teils schiefen Häusern.
Mit der deutschen Besatzung ab 1939 wurde nicht nur der Grundstein für den Lagerkomplex Auschwitz gelegt, sondern auch für das jüdische Ghetto und das KZ Plaszow. Alle drei historischen Orte werden wir aufsuchen.
Zunächst ist das Ghetto auf dem Plan. Da Krakau eine relativ moderne Stadt geworden ist, ist es für mich als Schüler erstmal gar nicht so einfach, hier noch Spuren der Nationalsozialisten oder des früheren jüdischen Lebens zu entdecken. Liam zeigt uns am ersten Tag das jüdische Viertel, Kazimierz. Hier sind genauso wie in Podgorze, dem ehemaligen Ghetto der Stadt, noch Spuren zu erkennen: Zum Beispiel die ehemalige Ghettomauer oder eine Thoraschule, zahlreiche Davidsterne und hebräische Inschriften. Liam erzählt, dass in diesem Viertel Teile von „Schindlers Liste“ gefilmt worden sind. Diesen Tag lassen wir im Hamsa ausklingen.
Vor der Reise habe ich mich schon lange mit dem Thema „Das NS-Regime” beschäftigt, unter anderem auch mit der Shoah. Ich würde mich als „psychisch abgeklärt“ beschreiben, so dass ich keine Erwartungen in Bezug auf irgendwelche Emotionen hatte, die mich überfallen könnten, wenn ich das Staatliche Museum Auschwitz Birkenau am zweiten Tag besuchen werden würde. Im ehemaligen Stammlager empfängt uns ein Guide, der uns durch das Gelände führen soll. Im Laufe der Führung übertreffen sich diese wenigen Erwartungen bzw. meine Vorstellungen aber tatsächlich noch: Das Stammlager ist zu einer Touristenattraktion geworden! Wir haben in der Vorbereitung Bilder von Shahak Shapira gesehen, der Gedenkstätten-Selfies über Originalfotos legte und diese unter dem Namen #Yolocaust veröffentlichte. Nun sehen wir die Besucherinnen und Besucher posieren und Fotos schießen – sehr beliebt: Das Tor mit der Inschrift „Arbeit macht frei“. Irgendwie stört uns das.
Ich empfinde es als sehr schade, dass dieser Ort zu einer Touristenattraktion „verkommen“ ist. Die Authenzität geht und die Funktion als Gedenkstätte geht verloren. Dennoch hinterlässt dieser Ort viele Eindrücke und die Art der Eindrücke sind sehr individuell.
Der Guide führt uns durch die Blöcke, in denen wir Berge von Haaren, Brillen, Blechtöpfen und Prothesen sahen. In einem Block hingen an beiden Flurwänden Portraits der Häftlinge. Gleich sehen sie aus, mit der Häftlingsuniform und den geschorenen Köpfen. Das Geschlecht ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen, die Augen aber fesseln den Betrachtenden.
Der ehemalige Strafblock (Block 11) ist so hergerichtet, wie es damals ausgesehen haben könnte. Im Keller des Blocks sehen wir die Stehzellen, die schweren Holztüren und die kalten Wände. Abschließend führt uns der Guide zur noch stehenden Gaskammer. Am Eingang gibt es die Mahnung, nicht zu sprechen, da dies eine Stätte des Gedenkens sei. Die Touristen sprechen natürlich trotzdem...
Nach der Führung bewegen wir uns selbstständig über das Gelände des Stammlagers und können die verschiedenen Länderausstellungen in den übrigen Blöcken ansehen, bevor wir uns in Block 27 wiedertreffen. Hier sehen wir die Ausstellung der Israelis. Beginnend mit Filmaufnahmen aus der Vorkriegszeit, die lachende Familien, tanzende Kinder und das Gewusel auf den Straßen zeigen, begeben wir uns in verschiedene Räume, die verschiedene Themen beinhalteten. Zum einen werden Reden verschiedener NS-Größen abgespielt, auf der anderen Seite sehen wir Kinderzeichnungen aus dem Lagerkomplex. Im Erdgeschoss steht das Buch der Namen. Hier suchen wir Emil Kraft aus Wunstorf und einige Namen der Deportationslisten aus der Gedenkstätte Ahlem, die wir im Zuge der Vorbereitungen besuchten.