Make Hummus, not War!

25. September 2019

"Make Hummus, not War!"

„Do you recognize any of this persons?“, steht auf dem Banner im Flur des Hamsa-Restaurants in Krakau. Frau Dopke möchte, dass wir israelisch essen. „Ja, in Deutschland gibt es zu wenig solcher Restaurants!“, sagt sie. Also tun wir das. Wir essen hier israelisch: Mezze, Pita, Shakshuka. Im Hamsa gibt es viel davon. An der Wand steht „Hummus and Happiness“, auf einer anderen Wand: „Make Hummus not War!“ Glücklich sein, Frieden – und mitten drin dieses Banner? Das sind Nachkommen, denke ich. Nachkommen, die ihre Verwandten während der Besatzung Polens durch die Deutschen verloren haben. Im Herzen dieses Restaurants, das auch für die gemeinsame Esskultur der Jüdinnen und Juden steht, für Gemeinschaft, Freude und Hummus, ist die Frage nach den vermissten Verwandten immer noch aktuell. Die Toten der Shoah sind immernoch in den Alltag integriert.

Diese Erfahrungen sind Ziel der Studienfahrt nach Krakau und Oswieciem gewesen. Ein Jahr lang haben wir uns inhaltlich auf diese Fahrt vorbereitet. Freiwillig, außerhalb der normalen Stundentafel und ohne irgendetwas materielles wie Notenpunkte dafür zu bekommen. Unsere Reisegruppe setzt sich aus 16 Schülerinnen und Schülern der Sek II, einem FSJler, Frau Dopke, Herrn Fleischmann und Liam Harrold, einem Geschichtsstudenten und unsere heimliche Reiseleitung, zusammen.

Wir übernachten in Krakau. Die Stadt begeistert. Übervoll mit Touristen, zu denen wir auch gehören, saugen wir das Flair der Stadt in uns auf. Die Tuchhallen beindrucken, die Burg ist wunderschön illuminiert und die Gassen Kazimierz‘ gesäumt von alten, teils schiefen Häusern.

Mit der deutschen Besatzung ab 1939 wurde nicht nur der Grundstein für den Lagerkomplex Auschwitz gelegt, sondern auch für das jüdische Ghetto und das KZ Plaszow. Alle drei historischen Orte werden wir aufsuchen.

Zunächst ist das Ghetto auf dem Plan. Da Krakau eine relativ moderne Stadt geworden ist, ist es für mich als Schüler erstmal gar nicht so einfach, hier noch Spuren der Nationalsozialisten oder des früheren jüdischen Lebens zu entdecken. Liam zeigt uns am ersten Tag das jüdische Viertel, Kazimierz. Hier sind genauso wie in Podgorze, dem ehemaligen Ghetto der Stadt, noch Spuren zu erkennen: Zum Beispiel die ehemalige Ghettomauer oder eine Thoraschule, zahlreiche Davidsterne und hebräische Inschriften. Liam erzählt, dass in diesem Viertel Teile von „Schindlers Liste“ gefilmt worden sind. Diesen Tag lassen wir im Hamsa ausklingen.

Vor der Reise habe ich mich schon lange mit dem Thema „Das NS-Regime” beschäftigt, unter anderem auch mit der Shoah. Ich würde mich als „psychisch abgeklärt“ beschreiben, so dass ich keine Erwartungen in Bezug auf irgendwelche Emotionen hatte, die mich überfallen könnten, wenn ich das Staatliche Museum Auschwitz Birkenau am zweiten Tag besuchen werden würde. Im ehemaligen Stammlager empfängt uns ein Guide, der uns durch das Gelände führen soll. Im Laufe der Führung übertreffen sich diese wenigen Erwartungen bzw. meine Vorstellungen aber tatsächlich noch: Das Stammlager ist zu einer Touristenattraktion geworden! Wir haben in der Vorbereitung Bilder von Shahak Shapira gesehen, der Gedenkstätten-Selfies über Originalfotos legte und diese unter dem Namen #Yolocaust veröffentlichte. Nun sehen wir die Besucherinnen und Besucher posieren und Fotos schießen – sehr beliebt: Das Tor mit der Inschrift „Arbeit macht frei“. Irgendwie stört uns das.

Ich empfinde es als sehr schade, dass dieser Ort zu einer Touristenattraktion „verkommen“ ist. Die Authenzität geht und die Funktion als Gedenkstätte geht verloren. Dennoch hinterlässt dieser Ort viele Eindrücke und die Art der Eindrücke sind sehr individuell.

Der Guide führt uns durch die Blöcke, in denen wir Berge von Haaren, Brillen, Blechtöpfen und Prothesen sahen. In einem Block hingen an beiden Flurwänden Portraits der Häftlinge. Gleich sehen sie aus, mit der Häftlingsuniform und den geschorenen Köpfen. Das Geschlecht ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen, die Augen aber fesseln den Betrachtenden.

Der ehemalige Strafblock (Block 11) ist so hergerichtet, wie es damals ausgesehen haben könnte. Im Keller des Blocks sehen wir die Stehzellen, die schweren Holztüren und die kalten Wände. Abschließend führt uns der Guide zur noch stehenden Gaskammer. Am Eingang gibt es die Mahnung, nicht zu sprechen, da dies eine Stätte des Gedenkens sei. Die Touristen sprechen natürlich trotzdem...

Nach der Führung bewegen wir uns selbstständig über das Gelände des Stammlagers und können die verschiedenen Länderausstellungen in den übrigen Blöcken ansehen, bevor wir uns in Block 27 wiedertreffen. Hier sehen wir die Ausstellung der Israelis. Beginnend mit Filmaufnahmen aus der Vorkriegszeit, die lachende Familien, tanzende Kinder und das Gewusel auf den Straßen zeigen, begeben wir uns in verschiedene Räume, die verschiedene Themen beinhalteten. Zum einen werden Reden verschiedener NS-Größen abgespielt, auf der anderen Seite sehen wir Kinderzeichnungen aus dem Lagerkomplex. Im Erdgeschoss steht das Buch der Namen. Hier suchen wir Emil Kraft aus Wunstorf und einige Namen der Deportationslisten aus der Gedenkstätte Ahlem, die wir im Zuge der Vorbereitungen besuchten.

Auschwitz II, oder auch Auschwitz-Birkenau, hat auf mich eine viel stärkere Wirkung als das Stammlager. Da das Meiste nicht mehr in der Form vorzufinden ist, in der das Lager ursprünglich bestand, sieht man heutzutage nur noch letzte Überreste der eigentlichen Baracken. Das verleiht dem Gelände etwas von einem riesigen Gebäudefriedhof. Dennoch empfinde ich Auschwitz II deutlich aussagekräftiger und eindrucksvoller. Die schiere Größe wird einem bewusst, wenn man an der ehemaligen Rampe vorbei geht und dem Weg der Jüdinnen und Juden folgt, die zur Vergasung bestimmt wurden. Man bewegt sich dabei zwischen Stacheldraht auf eine Baumgruppe zu, die so ähnlich schon damals da gestanden haben soll, um die zum Mord bestimmten Personen zu beruhigen, während sie auf ihre Vergasung warteten. Von den ehemaligen Gaskammern, die alle gesprengt wurden, läuft man geradewegs auf die „Sauna“ zu. Hier wurden die Personen „behandelt“, die zum Arbeiten noch stark genug waren: Alle Haare wurden geschoren, die Kleidung getauscht und die Nummer eintätowiert.

Sollte man die Gedenkstätte besuchen, sollte man mindestens beide Lager gesehen haben. Das ehemalige Gelände von Auschwitz I hat einen hohen Informationsgehalt, in Auschwitz II gibt es zwar relativ wenig zu lesen, aber dafür umso mehr zu sehen.

Am dritten Tag begeben wir uns auf Schindlers Spuren. Während der Vorbereitung sehen wir den Film und glichen die filmische Darstellung mit Aussagen der sogenannten „Schindlerjuden“ ab. Da Schindlers Fabrik in Krakau stand, besuchen wir sie. Wir sind sehr überrascht, als wir sehen, dass die Fabrik nicht die Geschichte Schindlers wiedergibt, sondern die Geschichte Krakaus unter Deutscher Besatzung. In unseren Augen ist das verschenktes Potential des historischen Ortes.

Nachdem wir in der Fabrik waren, besuchen wir Podgorze, das ehemalige jüdische Ghetto. Dort besichtigen wir die Apotheke, in der viele Pässe gefälscht worden sind, um Jüdinnen und Juden vor der Deportation zu retten. In der Apotheke wird die Geschichte des Ghettos thematisiert.

Bei der Auseinandersetzung mit Schindler darf auch der Besuch des ehemaligen KZ Plaszow nicht fehlen. Das Gelände ist heute vollkommen in die Stadt Krakau integriert und in seiner ehemaligen Form als Konzentrationslager nicht wiederzuerkennen. Es ist vielmehr ein hügeliger und begrünter Park, der zum weitläufigen Spazieren einlädt. Das zeigt deutlich, was passiert, wenn solche Orte nicht vom Staat oder anderen Organisationen in Stand gehalten werden. Und noch deutlicher wird, wie so ein Ort des Grauens auch wieder zu einem ganz normalen Teil der Stadt werden kann.

Warum Fahrten wie diese wichtig sind?

In einer Zeit, in der es wieder mehr Holocaustleugnende, Hitler-Befürworter*innen, Antisemiten und Björn Höckes gibt, als mir lieb wäre, sollte (oder eigentlich “muss”) ein jede*r Jugendliche*r sich eine fundierte Meinung bilden. Die Fahrt und die Vorbereitungen auf sie haben uns befähigt, Meinungen zu bilden und sie noch stärker fundieren zu können.

Leider treffe ich immer wieder auf Jugendliche und auch auf Erwachsene, die in Bezug auf die Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Folgen eine erschreckende Wissenslücke besitzen. Das führt dazu, das einige Dinge nicht so wahrgenommen werden, wie sie es eigentlich sollten. Vor allem Antisemitismus und Rechtspopulismus sind immer noch oder wieder stark präsent und ein aktuelles Problem.
Auf der anderen Seite gehen Jugendliche auf die Straße und stehen für ihre Meinung ein. Ich bin mir sicher, dass das „Problem” der steigenden Anzahl der Mitglieder und Wähler rechtspopulistischer Parteien in den kommenden Jahren nicht abnehmen wird. Umso wichtiger ist meiner Auffassung nach Aufklärung, zu der ich auch eine Fahrt wie diese zähle.

Und so kann es sein, dass auf einer solchen Fahrt die Perspektive auf einmal umgedreht wird und beginnt, zu verstehen, was es heißt, von Opfern des NS abzustammen und nie genau zu wissen, was mit den Verwandten passiert ist.

Nando Baschetti (ergänzt durch Lisa Dopke)